Am 31. Oktober 1517 schlug Martin Luther 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg und veränderte damit die Welt. Wie viel ist heute noch davon zu spüren, was Luther damals antrieb?
Kommentar von Matthias Hauptmann. Erstmals veröffentlicht im Oktober 2017.
Viele Gelehrte haben sich seitdem mit der wichtigen Frage beschäftigt, ob er die Thesen an diesem Samstag tatsächlich an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt oder etwas weniger auffällig an dieselbe geklebt hat. Mancher vermutet gar, dass er den Akt von Helfershelfern hat vollziehen lassen und die aufsichtserregenden Sätze selbst nur an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg – einen gewissen Albrecht von Brandenburg – sendete.
Ich war an besagtem Samstag in Wittenberg nicht zugegen und spare mir deshalb eine Beteiligung an dieser Diskussion – zumal mich der leise Verdacht beschleicht, dass die korrekte Antwort so unbedeutend ist, wie das Wetter an diesem Tag ausschlaggebend für den Inhalt von Luthers Thesen war.
In diesem aufgebauschten 500. Reformationsjubiläum mit seiner Lutherdekade, dem Kirchentag in Berlin und Wittenberg und seinen unzähligen Luther-Events landauf, landab habe ich mir immer wieder die folgende Frage gestellt: Was hat Luther angetrieben und was kann ich heute davon lernen?
Wie Martin Luther zum Mönch wurde
Der jugendliche Martin Luther ist kein Superstar. Er ist auch weder Rebell noch Reformator. Ganz im Gegenteil ist er ein fleißiger Schüler und Student, der am 2. Juli 1505 von einem schweren Gewitter überrascht wird und der heiligen St. Anna gelobt Mönch zu werden, wenn er das Unwetter überlebt. Statt in der Juristenfakultät der Erfurter Universität findet sich der 21-jährige wenige Tage später also im Augustiner-Kloster wieder.
Der junge Martin befolgt die Ordensregeln genau und streng. Bereits knapp zwei Jahre später wird er zum Priester geweiht. Doch trotz täglicher Bußübungen plagt ihn sein Gewissen. Er verzweifelt schier an seiner Sündhaftigkeit. Die Frage, die ihn beschäftigt lautet: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“
Erst ein Jahrzehnt später entdeckt Luther in Römer 1,17 die Antwort: „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche aus dem Glauben kommt und zum Glauben führt; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben.“
Dieser Bibelvers verändert Luthers Schriftverständnis: Die Rechtfertigung – Versöhnung – mit Gott bekommt ein Mensch allein durch den Glauben an Jesus Christus. Er hat mittlerweile Theologie studiert, ist Doktor der Theologie und Professor für Bibelauslegung. Die Lehren und Praktiken der katholischen Kirche, deren Teil er selbst ist, widersprechen seinem neuen Verständnis und er scheut sich nicht, dies mündlich und schriftlich auszudrücken.
Martin Luther ermutigt andere Christen zum Glauben
Am 31. Oktober 1517 schließlich schlägt er zu! 95 Thesen für lebendiges Christenleben und gegen toten Ablasshandel. Seine letzten Thesen lauten: „Man soll die Christen ermutigen, Jesus Christus nachzufolgen, und sie nicht durch Ablassbriefe falsche geistliche Sicherheit erkaufen lassen.“
Jetzt wird er als Rebell wahrgenommen und bekämpft. Die These, dass es um die persönliche Beziehung des Gläubigen zu Gott geht erschüttert das Selbstverständnis und die Macht der katholischen Kirche. Es dauert nicht lange, bis der Papst involviert und Martin Luther im ganzen Land bekannt ist. Seine Schriften verbreiten sich, begünstigt durch den kurz zuvor erfundenen Buchdruck, wie ein Lauffeuer und finden großen öffentlichen Widerhall. Die Reformation ist in vollem Gang.
Am 17. April 1521 verteidigt Luther seine Position vor dem Reichstag in Worms. Vor den versammelten Fürsten und Reichsständen begründet er seine Position im Wissen, dass dies seinen Tod bedeuten kann, mit den bekannten Worten: „Da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“
Der Kaiser erklärt Luther daraufhin für vogelfrei. Kurfürst Friedrich der Weise aus Sachsen lässt Luther zu dessen Schutz entführen und auf die Eisenacher Wartburg bringen. Zehn Monate lebt Luther hier als „Junker Jörg“ und übersetzt im Herbst des Jahres 1521 das Neue Testament in nur elf Wochen ins Deutsche.
An seiner Arbeit ist einzigartig, dass Luther sich an den hebräischen und griechischen Urtexten orientiert und statt Wort-für-Wort den biblischen Sinn in eine verständliche deutsche Sprache überträgt. Er schaut „dem Volk aufs Maul“ und legt die Bibel von dem her aus, „was Christum treibet“, was für ihn bedeutet, von der Gnade in Christus als Ziel und Mitte der ganzen Schrift auszugehen.
Entwicklung der konfessionelle Landeskirchen
Nach einem blutigen Bauernkrieg im Jahr 1525 wird die Reformation zu einer Angelegenheit der Landesfürsten. So entwickeln sich in den evangelischen Gebieten bald konfessionelle Landeskirchen, die von den Fürsten geschützt, aber auch abhängig sind.
Luther lebt zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren wieder in Wittenberg. Er hat seine Lebensform als Mönch aufgegeben und die Nonne Katharina von Bora geheiratet, mit der er sechs Kinder bekommt. Bis zum Ende seines Lebens ist Martin Luther Professor, Seelsorger und Publizist. Er stirbt am 18. Februar 1546 während einer Reise in seiner Geburtsstadt Eisleben und wird vier Tage später in der Schlosskirche zu Wittenberg beigesetzt.
Heute, 500 Jahre später, ist Martin Luther ein Superstar. Es gibt ihn als Playmobilfigur, als Hauptdarsteller in unzähligen Musicals und als Denkmal in allen Größen und Materialien. Wie bei Superstars üblich, wird den dunklen Stellen im Lebenslauf besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Doch was ist eigentlich von dem geblieben, was den Reformator Martin Luther angetrieben hat?
Martin Luthers Glaube
Luther war kein angepasster Schönwetterchrist. Ganz im Gegenteil. Für ihn ging es um eine persönliche, lebendige Beziehung zu Jesus Christus und darum, dass Glaube, Worte und Werke mit der Bibel übereinstimmten. Er hat die Bibel übersetzt, damit sie von den gewöhnlichen Leuten gelesen, geglaubt und gelebt werden kann. Nicht, damit sie heute im Schrank verstaubt. Er hat für seinen Glauben gekämpft und sein Leben gegen die damaligen geistlichen und weltlichen Mächte aufs Spiel gesetzt. Er wollte nicht eine neue Kirche schaffen, sondern eine Erweckung. Ihm ging es nicht um die Form, sondern um den Inhalt. Ihm ging es darum, das Evangelium von Jesus Christus in den Mittelpunkt zu stellen und nicht kirchliche Bräuche und Rituale.
Wie viel von diesem Luther ist heute noch spürbar? Was davon ist im Reformationsjubiläum bei den Menschen im Land angekommen? Was würde der Reformator wohl selbst zum Zustand des heutigen Christentums sagen und wie würde er reagieren? Ich frage ja nur!
Ein Kommentar von Matthias Hauptmann